Helsinkistrasse, Basel

Helsinki Dreispitz ist ein von Herzog & de Meuron selbst initiiertes und entwickeltes Projekt für ein Lagerhaus und Wohnungen an der Helsinki-Strasse im Dreispitzareal Basel. Das Lagerhaus nimmt sämtliches Archivmaterial von Herzog & de Meuron seit den Anfängen 1978 auf, dazu eine Sammlung von Kunstwerken, hauptsächlich erworben von Künstler:innen, mit denen wir über lange Jahre zusammenarbeiteten.

Ein einmaliger Ort

Unser Archivmaterial umfasst Pläne, Dokumente, Skizzen, Zeichnungen, Materialproben, Modelle und Modellfragmente von unterschiedlicher Grösse und Materialität. Dieses sehr umfangreiche Archivmaterial war zuvor verschiedenen Orten verstreut gelagert und deshalb schwierig und umständlich im Handling, in der Aufbereitung und Sichtung, z.B. für Publikationen oder Ausstellungsprojekte. Das Lagerhaus Helsinki Dreispitz dient der Vereinigung dieses Material an einem Ort  und genügt heutigen konservatorischen und logistischen Ansprüchen. Die Hauptaufgabe ist die Lagerung und Pflege der Archivbestände.

Dreispitz, ein Quartier im Werden

Das Dreispitzareal ist ein 50 Hektar grosses Stück Stadt, das einem einzigen Grundbesitzer gehört. Ursprünglich als Lagerplatz vor der Stadt, dann als Zollfreilager genutzt, wurde es nach ganz eigenen Regeln überbaut, was zu einem faszinierenden, hässlich-schönen Kunterbunt von Architekturen und Nutzungen führte. Die Strassen tragen die exotisch klingenden Namen internationaler Städte (Helsinki-Strasse, Florenz-Strasse, Oslo-Strasse…). Es gibt Gleisanlagen und rigoros angelegte Strassenraster nach dem Vorbild amerikanischer Städte. Das Areal entwickelte sich in der Folge zu einem Experimentierfeld verschiedenster urbaner Aktivitäten – ein Ort des Wildwuchses, nicht nur wegen der ungeplanten Vegetation, sondern auch in sozialer Hinsicht. Da solche Orte in der Schweiz untypisch und dementsprechend rar sind, nahmen wir 2001 den Auftrag für eine städtebaulichen Studie mit Freude an und versuchten, die zukünftigen Planungsschritte nicht in einem rigiden Masterplan zu diktieren, sondern eher als einen offenen Prozess zu beschreiben, der die vorhandene urbane Vielfalt weiter gedeihen lässt, zugleich aber auch eine deutliche Verdichtung ermöglichen soll. Anstelle von Tabula rasa schlugen wir eine Überlagerung von verschiedenen baulichen Typologien vor: kleine, beinahe schäbige Strukturen sollten neben grossmassstäblichen Objekten bestehen bleiben können, so wie dies in der Umgebung des Schaulagers, am Südende des Dreispitzareals bereits funktioniert.

Die von uns vorgeschlagenen grossstädtischen Analogien Manhattans, Sohos und Queens sind denn auch als leitmotivische, provokative Bilder gedacht, die viel Spielraum für das einzelne konkrete Projekt lassen. Falls dieser Spielraum in den kommenden Jahren ausgenutzt wird, kann auf dem Dreispitz das typologisch und programmatisch vielseitigste Quartier der Schweiz entstehen.

Ein erster Schritt in diese Richtung war der Umzug der Hochschule für Gestaltung und Kunst mit ihren etwa 1000 Studierenden und Dozierenden auf das Dreispitzareal im Sommer 2014. Die Hochschule belegt sowohl vorhandene Industriebauten als auch Neubauten. Die Arbeit am Dreispitz war für uns deshalb besonders interessant, weil es das bisher grösste Testgebiet ist, auf dem wir unsere jahrelange Forschung und unsere immer wieder vorgebrachten Forderungen zur Entwicklung der trinationalen, metropolitanen Stadt Basel konkret anwenden konnten.

Eine unserer Forderungen war es stets, neue und grenzübergreifende Quartiere zu entwickeln, so dass die Bewohner:innen auf der französischen, der deutschen oder der schweizerischen Seite in einer gemeinsam geplanten Alltagsrealität zusammen leben können, ohne die sonst üblichen Grenzabstände und Zwischenzonen, die noch immer die Abwehrhaltung des Zweiten Weltkriegs reflektieren. Das Dreispitz ist das erste städtische Quartier der Schweiz, das von einer Kantonsgrenze durchzogen wird, die nun unsichtbar ist. Die Kantonsgrenze zwischen Basel-Stadt und Basel-Land – eine Bagatelle, würde man meinen – angesichts der notorischen Eigenbrötlerei in der Schweiz ist es jedoch ein Meilenstein, sie zum Verschwinden zu bringen.

(siehe: Herzog & de Meuron 1997–2001. Das Gesamtwerk. Band 4. Gerhard Mack (Ed.). Basel / Boston / Berlin, Birkhäuser, 2008, S. 157–158)

Der Bau

Wir planten von Beginn an nicht bloss ein Lagerhaus für unser umfangreiches Archiv, sondern einen Ort mit Ausstrahlung, der dem werdenden Quartier Dreispitz Impulse verschiedener Art geben kann. Als Campus des Bildes konzipiert zog die Hochschule für Gestaltung und Kunst mit ihren Fachbereichen in verschiedenen Gebäuden in unmittelbarer Nähe ein und da war es wichtig, dass unser Archiv ein Ort der Forschung ist und so für die Studierenden eine zusätzliche Attraktivität darstellt. Besonders wichtig war jedoch die Produktion von Wohnungsraum, so dass das Quartier zu allen Tages- und Nachtzeiten belebt ist. Die gemeinsam mit unserem Ko-Investor entwickelten einundvierzig Wohnungen über unserem Lager haben da Pionierfunktion. Die Wohnungen sind die ersten Wohnungen auf dem Dreispitz.

Diese Wohnungen profitieren von einer aussergewöhnlichen Rundsicht in die umliegenden Naturräume des Bruderholzes und der Brüglinger Ebene mit dem botanischen Garten und den Sportanlagen St Jakob – ein Privileg also, wie es sonst nur in ländlicher Umgebung zu haben ist. Ein sehr urbaner, dichter Ort. Die Architektur ist geprägt durch eine markante Form, die sich gegen oben hin verjüngt, um die Lichteinfallswinkel zu den Nachbar:innen zu gewährleisten. Die Materialien sind roher Beton mit einer horizontalen Schalung aus schmalen Holzbrettern. Das über die Betonfassade rinnende Regenwasser wird dem Lagerhaus im Verlaufe der Jahre eine naturhafte, an Baumrinde erinnernde Oberflächenstruktur verleihen. Die spärlichen Fensteröffnungen im Lagerbereich sind gross und so konzipiert, dass sie im Inneren genügend Tageslicht für die Arbeitsplätze von Archivierenden und Studierenden gewährleisten. Die Lagerräume sind mit eigens entwickelten Archivschränken und Vitrinen ausgestattet, welche alle Modelle sichtbar und leicht zugänglich lagern – nicht unähnlich den naturgeschichtlichen Sammlungen des 19. Jahrhunderts.