Pièce Urbaine C schaffte eine neue Innenstadt in der Peripherie von Lausanne

04.12.2024, SENN

Eine Wohnüberbauung für das ganze Quartier

Der Architekt Nicolas de Courten hat mit seinem Erstlingswerk «Pièce Urbaine C» eine Wohnüberbauung entworfen, die mit ihrer städtebaulichen Figur und den Aussenräumen das neue Quartier Plaines-du-Loup in Lausanne belebt und aktiviert. Dafür wurde ihm der SENN-Förderpreis Kaninchen verliehen. Sein Entwurf zeugt von Gespür und Weitsicht und ist gleichzeitig ein Votum für den Wert des offenen Wettbewerbs, den er bereits 2017 gewonnen hatte.

Wie würdest du dein Erstlingswerk in 2-3 Sätzen beschreiben?

Nicolas de Courten: Pièce Urbaine C ist ein Projekt, das zwischen Einfachheit und Komplexität oszilliert und mit einfachen Mitteln versucht, das Quartier und nicht nur die Wohnungen schöner zu machen. Menschen sind in der Regel glücklich, wenn es ihnen im Quartiert wohl ist. Wir Architekt:innen vergessen manchmal, dass es nicht nur um die Wohnungstypologie geht, sondern auch darum, wo wir wohnen. Deshalb sind das Quartier und Aussenräume, die keine klare Funktion haben, sehr wichtig für das Wohnen.

Was war deine Vision für Pièce Urbaine C im städtischen Neubaugebiet Plaines-du-Loup im Norden Lausannes und inwiefern konntest du diese umsetzen?

Es war eine besondere Aufgabe, da es sich um den ersten Wettbewerb in diesem neuen Quartier handelte. Als Ausgangslage diente einzig der Quartierplan. Ich suchte von Anfang an eine gewisse Flexibilität und Durchlässigkeit für Pièce Urbaine C, damit weitere Gebäude integriert werden können. Präzise Aussenräume waren sehr wichtig für das Projekt und funktionieren nun auch in der Praxis sehr gut. Die städtebauliche Figur besteht aus drei Plätzen mit Räumen, die die Aussenräume aktivieren. Als Kontrast dazu gibt es im Norden des Areals drei kleine Innenhöfe, die viel Grün und Natur beherbergen. Die Wohnungen befinden sich zwischen diesen beiden Welten – der Südraum, der urban ist und belebt werden will sowie der Nordraum, der für die Natur und anderen Lebensformen gemacht ist. Das bringt eine schöne Qualität in die Wohnungen und auch in die Aussenräume.

Was hat dich zu deinem Entwurf inspiriert?

Ich fand die Aufgabe sehr spannend, in der Peripherie eine neue Dichte im Sinne einer Innenstadt zu bauen. Für mich war die traditionelle Stadt mit einer klaren Funktion, einem öffentlichen Erdgeschoss, ohne Autos, aber mit vielen Bäumen deshalb die wichtigste Inspiration. Sie ist ästhetisch, funktioniert sehr gut und es gibt unzählige Beispiele dafür wie zum Beispiel der Boulevard à Redents in Paris von Eugène Hénard oder auch die roten Wiener Genossenschaftsbauten. Da das Quartier Plaines-du-Loup viele subventionierte Wohnungen beherbergt, gab es nicht viel Budget für spezielle Features wie zum Beispiel grosszügige kollektive Treppenhäuser. Umso wichtiger waren die Aussenräume, die allen gehören und deshalb möglichst schön und einladend sein sollen. Das entsprach auch dem Ziel der Bauherren.

Welche Philosophie oder welchen Ansatz verfolgst du als Architekt?

Mich interessiert ganz klar der Wohnungsbau, gerade auch vor dem Hintergrund von sozialen und ökologischen Aspekten. Eine wichtige Frage dabei: Wie bauen wir für die stetig wachsende Zahl von Einwohner:innen eine Qualität, ohne dabei Zersiedelung zu fördern? Weitergedacht und damit verbunden ist auch die Frage, wie und wo wir auf unserem Planeten leben wollen. Von meinem Berufsstand ist dabei Optimismus gefordert.

War für dich von Anfang klar, dass du mit nachhaltigem Einstein-Mauerwerk arbeiten wirst?

Das hatte ich bereits so im Wettbewerb vorgesehen. Es ist ein Baumaterial, das alles kann: dämmen, tragen und schützen. Zudem funktioniert es auch für Minergie P. Die Bauart mit Einstein-Mauerwerk wiederum beeinflusst das ganze Projekt und auch die Typologie. Viele Genossenschaftsbauten in Lausanne aus den 1930er-Jahren haben dicke Mauern und viel Putz. Ich fand es deshalb naheliegend, bei Pièce Urbaine C mit Einstein-Mauerwerk zu arbeiten. Davon mussten wir auch die Bauherren überzeugen, was am Anfang nicht ganz einfach war. Mittlerweile finden sie es gut, nicht zuletzt auch wegen der inzwischen kritischeren Betrachtung von Beton.

In welchem Ausmass hast du weitere Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt oder war das im Rahmen der Vorgaben möglich?

Die Zertifizierungen Minergie P und Eco waren eine klare Vorgabe für das Quartier Plaines-du-Loup. Das beinhaltet auch grüne Dächer mit Solarzellen sowie Wärmepumpen, die 800 Meter tief sind. Letztere wurden von der Stadt Lausanne ermöglicht. Weiter gibt es keine Tiefgarage, denn das spart viel CO2 und hält die Böden durchlässig. Kellerbauten gibt es nur unter den Gebäuden in der Form von Schutz- und Lagerräumen. Kommt dazu, dass wir insgesamt mehr als hundert Bäume gepflanzt haben. Mit wenig versiegelten Flächen wird auch das Regenwassermanagement begünstigt.

Wer hat das Farbkonzept für Pièce Urbaine C erarbeitet?

Wir haben mit der Farbgestalterin und Textildesignerin Tanja Grace-Knuckey zusammengearbeitet. Basis war das Konzept aus dem Wettbewerb, das nicht nur Farben, sondern auch das Material und die Textur umfasst. Dabei haben wir sehr viel Arbeit investiert, Tests mit Spezialfarben durchgeführt und mit verschiedenen Putzgrössen zwischen 8 mm (sehr dick) und 1mm (sehr dünn) experimentiert. Im Endeffekt kam eine Mischung aus klassischen und freien Elementen heraus, wobei wir stets auch auf den Städtebau und die Typologie achteten. Konkret resultierten Eingänge in blauer Farbe, rote Decken bei den Eingängen und Loggias sowie gelbe Storen und Sonnenstoren. Die starken Farben sind präzis platziert, gleichzeitig ist die Überbauung von weitem und auch oben weiss und ruhig.

Was bedeutet die Verleihung des Kaninchens 2024 für dich?

Es ist eine grosse Anerkennung und Ehre für mich. Ein solcher Preis sagt einiges aus und ist gleichzeitig Gütesiegel und eine super Erfahrung. In der Regel weiss man als Architekt wenig, wie die Arbeit aufgenommen wird. Auch dass diese Auszeichnung aus Zürich kommt, freut mich natürlich, habe ich doch eine Weile dort studiert und gearbeitet. In Zürich und auch Basel gibt es eine beispielhafte Dichte von guter Architektur in der Schweiz.

Wird diese Auszeichnung in der Westschweiz wahrgenommen? Wurde dein Projekt dort auch gewürdigt?

In der Westschweiz hat das Pièce Urbaine C den Prix de l’immobilier Romand, Mention «Durabilité» erhalten. Allgemein schauen wir aber mehr in die Deutschschweiz als umgekehrt.

Welche/s Projekt/e verfolgst du aktuell und inwiefern hat Pièce Urbaine C dein aktuelles Schaffen beeinflusst?

Für mich ist es vor allem die Erfahrung, die wichtig war. Ich bin selbstsicherer geworden, zweifle weniger und kann besser Entscheidungen zwischen wichtigen und unwichtigeren Aspekten treffen. Das Projekt hat mich gelernt, dass nicht alles sichtbar und wichtig ist. 2017 habe ich das Bürogegründet, das aus einem kleinen Team aus vier Personen besteht. Seither haben wir drei weitere Projekte gewonnen, darunter Wohnungsprojekte in Estavayer-Le-Lac, Genf und Lausanne.

 

 

Foto: Guillaume Perret

Pièce Urbaine C wurde zwischen Ende 2023 und Anfang 2024 fertiggestellt. Die ersten Wohnungen wurden gegen Ende 2023 bezogen. Ein Hort und Kindergarten sowie ein Laden wurden Anfang 2024 bzw. im Verlauf davon fertiggestellt. Das Projekt umfasst insgesamt 149 Wohnungen mit einer Grösse von zweieinhalb bis fünfeinhalb Zimmern und beherbergt zwischen 350 und 400 Personen.

 

Hochparterre: Das sind ‹Die Besten 2024›!

Kaninchen 2023: Beim Stadtkind Basel stehen Familien im Mittelpunkt

Kaninchen 2022: Schöne Räume stehen an erster Stelle