Bescheidene Dimensionen ohne Enge

Schöne Räume stehen beim diesjährigen Kaninchen-Gewinner an erster Stelle

Der Zürcher Architekt Baseli Candrian hat mit seinem Erstlingswerk ein Mehrfamilienhaus geschaffen, das sich in die Nachbarschaft einfügt und dennoch Besonderheiten bietet. Das Kaninchen-Gewinner-Projekt ermöglicht Mehr-Generationen-Wohnen, verteilt auf zwei Häuser, funktioniert aber auch für sich allein.

(Fotos: Federico Farinatti und Raisa Durandi)

Die Form des Mehrfamilienhauses in Urdorf entstand über den Aussenraum, wie Architekt Baseli Candrian im Gespräch erklärt. Ausgangslage war, dass eine Familie Land angrenzend zum bereits bestehenden Eltern-Wohnhaus kaufen konnte. Der Garten wird gemeinsam genutzt. Wo einst die Grundstücksgrenze verlief, steht nun ein langer Tisch. Der Neubau funktioniert aber trotz dieser Ausrichtung zum Nachbarhaus auch für sich allein. «Falls sich langfristig die Besitzverhältnisse ändern sollten», so Candrian.

Bei der Orientierung des Hauses habe es zwei Möglichkeiten gegeben: «Zur Sonne oder zur Landschaft hin», erklärt Candrian. Er hat das Gebäude schliesslich nach Nord-West geöffnet, mit Weitblick auf das Limmattal. «Dennoch ist es sehr hell und offen», sagt der Gewinner des Kaninchens.

Lernen aus der Architekturgeschichte

Für die Hinführung zum Gebäude orientierte sich Candrian an Landsitzen aus der Renaissance. «Bei diesen ist es enorm wichtig, wie einem das Gebäude empfängt. Diese Häuser atmen die Landschaft ein.» Ohnehin ist die Orientierung an Historischem für den jungen Architekten wichtig: «Grundsätzlich haben wir den Luxus, dass wir in der Architektur auf eine jahrtausendealte Geschichte zurückgreifen können. Viele kluge Menschen haben sich schon viel überlegt. Man kann viel daraus lernen.»

Neben der Architekturgeschichte sind Candrian gute und schöne Räume wichtig. «Das klingt banal, ist es in der Praxis aber nicht », sagt er. Wie sich Räume zueinander verhalten, sei schliesslich die einzige Disziplin, die ganz das Spezialgebiet der Architektur sei. «Ich wünsche mir von der Architektur mehr Fokus auf dem Raum. Denn wenn Räume schön sind, ist das nachhaltig, weil Menschen langfristig Freude und Nutzen daraus ziehen», ergänzt er.

Achsen öffnen Ausblicke

Auch beim Urdorfer Mehrfamilienhaus stand die Raumaufteilung im Zentrum. Die Dimensionen der beiden weitgehend identisch organisierten Wohnungen im Garten- und im Obergeschoss des Neubaus sind bescheiden. Die Hauptaufgabe war es, räumlich das Maximum herauszuholen. Die drei Schlaf- oder Kinderzimmer in der hinteren Raumschicht kommen zweimal mit gut zehn, einmal mit zwölf Quadratmetern aus. Die Küche findet in einer schmalen Raumschicht von zwei Metern Platz. Trotzdem macht sich an keiner Stelle eine räumliche Enge bemerkbar. Die Wohnungen vermitteln im Gegenteil den Eindruck von Weite und Offenheit. Das habe er mit Sichtachsen und fliessenden Raumübergängen erreicht, die er im Haus angelegt habe, erklärt Candrian. «Das ist wiederum etwas, was ich der Renaissance, aber auch der Moderne entlehnt habe.»

Das Kaninchen-Gewinnerprojekt ist kein Gebäude, das schreie «hier bin ich», findet Candrian. Durch seine Proportionen bettet es sich in die Nachbarschaft ein. Spannend macht es der Materialmix aus Mauerwerk, Beton, Holz und Kupfer. «Ich bin vom Rohen ausgegangen», erklärt der Architekt. Die Mauern sind an vielen Stellen zu sehen, auch im Innenraum.

Viel Inspiration für Folgeaufträge

Baseli Candrian hat der Gewinn des Kaninchens eher überrascht. Und natürlich auch gefreut: «Es ist für mich eine Genugtuung, dass die viele Arbeit, die ich in das Projekt gesteckt habe, entlohnt wird», sagt er. Aktuell arbeitet er an einem Umbau in Kilchberg und gemeinsam mit einer Kollegin am Neubau eines Mehrfamilienhauses in Zürich. Folgeaufträge aus dem Preis für sein Erstlingswerk würden ihm aber gelegen kommen, schmunzelt er. Genug Ideen hat er auf jeden Fall. Neben der ganzen Architekturhistorie lässt er sich auch gerne von Architektur auf der ganzen Welt inspirieren: «Da hat sich in den letzten Jahrzehnten noch eine neue Tür geöffnet.»

Über den Förderpreis «Kaninchen»

SENN stiftet im Rahmen der «Besten» von Hochparterre jährlich einen Preis für das beste Erstlingswerk in Architektur. Mit dem Erstlingswerk ist ein Projekt gemeint, welches ein Einzelner oder eine Gruppe geplant und in der Schweiz realisiert hat. Selbständig im eigenen Büro und nicht als Angestellte, so dass mindestens 50 Leistungsprozente gemäss SIA 102 erbracht worden sind.