Biodiversität bauen

Ein Bau kann mehr Biodiversität haben als die grüne Wiese

Biodiversität und Bauen müssen keine Widersprüche sein. Der Biotopflächenfaktor hilft, die Biodiversität bei Projekten mitzudenken. Das sorgt dafür, dass Gebäude nicht nur Menschen, sondern auch Flora und Fauna einen Lebensraum bieten. Ein Anwendungsbeispiel der Messgrösse ist das Projekt HORTUS.

Der Gebäudesektor ist für einen Viertel aller CO2-Emissionen in der Schweiz verantwortlich. Bei der Bautätigkeit fallen pro Jahr rund 74 Millionen Tonnen Abfall an. Diese Zahlen sind erschreckend, sie zeigen aber auch eine Chance auf: Die Bauwirtschaft ist in der Lage, einen entscheidenden Teil zur Energiewende und zu einer nachhaltigeren Gesellschaft beizutragen. Im Zuge der Nachhaltigkeitsbestrebungen im Bauwesen werden laufend neue Orientierungsgrössen entwickelt, die Architektinnen und Planern helfen, ihre Projekte ressourcenschondener zu gestalten.
Soll ein Projekt nachhaltig entwickelt werden, müssen sich alle Beteiligten schon früh im Planungsprozess darauf einigen, welche Faktoren und Variablen im Vordergrund stehen. Im Falle des Projektes HORTUS, das wir gemeinsam mit Herzog & de Meuron entwickelt haben, ist auf vielen Ebenen radikal nachhaltig. Unter anderem fördert es die Biodiversität.

Biodiversität ganz unromantisch

Von der Biodiversität existiert eine romantisierte Vorstellung: Es ist das Bild einer unberührten Landschaft, in der eine mannigfaltige Flora und Fauna heimisch sind. Die Antithese dazu sind die «Betonwüsten» der Bauwirtschaft. Tatsache ist, dass oft die intensive Landwirtschaft dafür verantwortlich ist, dass immer weniger Arten auf dem Land einen geeigneten Lebensraum finden. Sie verwandelt die grünen Wiesen in grüne Wüsten. So sind es oft gerade Siedlungen, die der Artenvielfalt ein Refugium bieten.

In Bezug auf die Biodiversität besser zu sein als die grüne Wiese in der Schweiz: Hierin steckt für die Bauwirtschaft eine grosse Chance. Die Spezies Mensch hat in der Schweiz grossen Wohndrang. Eine Verdichtung ist unumgänglich. Das sollte jedoch nicht auf Kosten anderer Spezies geschehen. Ist das möglich? Biodiversität ist schliesslich ein komplexes System. Sie wissenschaftlich zu messen, ist anspruchsvoll und setzt fundiertes Fachwissen voraus. Bisher fehlen einfach anwendbare, wissenschaftlich basierte und verifizierte Indikatoren für Biodiversität im Siedlungsraum auf verschiedenen räumlichen Ebenen (Bauparzelle, Quartier, Gemeinde). Diese sind jedoch eine Voraussetzung dafür, dass Zielgrössen definiert, implementiert und überprüft werden können.

Messgrösse Biotopflächenfaktor

Um den Einfluss eines Bauprozesses auf die Biodiversität zu überprüfen, kommt in unseren Projekten der Biotopflächenfaktor (BFF) ins Spiel. Der BFF wurde 1990 in Berlin im Bestreben eingeführt, die vielfältigen Belastungen zu reduzieren, die in der Stadt auf Umwelt und Bevölkerung einwirken. Er beschreibt, welchen Anteil ein Grundstück von den potenziellen Funktionen des Naturhaushaltes übernehmen kann, und formuliert einen ökologischen Mindeststandard für bauliche Änderungen und Neubebauungen.
Der BFF reicht von 0,0 für gänzlich versiegelte Flächen bis zu 1,0 für hochqualitative, biodiverse Vegetationsflächen. Halboffene Flächen – salopp gesagt die sprichwörtlich grüne Wiese – befinden sich mit Faktor 0,5 in der Mitte.

Anwendungsbeispiel im HORTUS

Entwicklerinnen und Architekten haben für das Bürogebäude HORTUS in Allschwil mit ungewöhnlichen Materialien experimentiert und sich auf eine Bauweise geeinigt, die der Kreislaufwirtschaft verpflichtet ist. Trotz oder gerade wegen eines klassischen Zielkonflikts zwischen Photovoltaikaufbauten und Dachbegrünung wurde mit den Expertinnen von www.siedlungsnatur.ch die Optimierung des BFF hoch gewichtet.
Das gesamte Areal inklusive Durchgangsstrassen umfasst 75’000 Quadratmeter, davon 13’500 Quadratmeter Grünfläche. Ihr Anteil beträgt also 18 Prozent. Unter anderem dank einer Fassadenbegrünung und einem bewachsenen Innenhof. Mit einer unterbauten Vegetationsfläche mit mittlerer Substratmächtigkeit sowie dem Garten und Fassadenbegrünung erreicht HORTUS einen BFF von 0.52. Und damit knapp mehr als die «grüne Wiese» mit 0.5. Gerade noch geschafft, mag man sich nun denken. Und in der Tat: Der Zielwert in unserem nächsten, laufenden Projekt mit Herzog & de Meuron liegt bei 0.6. Die grüne Wiese wird bunter.

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